Liebe Wolke,
ich möchte dir mal eine Sicht von aussen anbieten. Vielleicht hilft es. 
Da ist eine Frau, die hat eine superschwere Krankheit. Alles, was vorher normal war, steht auf dem Kopf, mindestens. Ganz vieles steht in Frage.
Und es findet sich niemand, der die Sicherheit und Garantie gibt, alles schwere, was jetzt durchgestanden werden muss, ist von Erfolg gekrönt. :read:
Keiner garaniert, dass das ganze mühen und leiden sich wirklich wirklich lohnt.
Was also tun? Aufgeben? Okay, das wäre eine Möglichkeit, aber real betrachtet nicht wirklich.
Nicht aufgeben? Na sicher, das haben schon andere geschafft. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Und bei - zuletzt - sind wir noch nicht.
Nicht aufgeben bedeutet ja, den Weg gehen, der von vielen Ärzten, Therapeuten und anderen Helfern benannt wird. Vieles tun wir sogar, ohne es zu prüfen, weil wir daran glauben können oder wollen. Und es hilft uns tatsächlich, Wegstrecke zu machen. Wir kommen voran.
Und jetzt kommt neben der schon heftigen Herausforderung eine weitere, die medizinisch absolut nicht therapierbar ist. Die liebe Familie, Freunde, Kollegen usw.
Wenn mir die Diagnose schon Angst macht, wie sieht es dort aus? Und die Angst ist der größte Hilfekiller, den ich kenne. Ohne Angst geht es sich leichter, auch wenn es schwer ist. Aber mit Angst mag ich gar keinen Schritt tun. Er könnte ja falsch sein. Angst behindert mehr als eine Chemotherapie oder eine Tumorentfernung. Das ist meine Sicht, so habe ich es erlebt. Ich konnte besser eine Chemo durchstehen als die ängstlichen Blicke meiner Kinder aushalten. Ich bin dreimal lieber in den OP gegangen, als in den Augen meiner Lieben zu lesen: Wirst du wieder gesund? Wann? Wie lange dauert das? Bin ich gefährlich für dich und deinen Heilungsprozeß? Darf ich dich ansprechen? Oder lieber nicht?
Ich sage euch, eine OP Erklärung zu unterschreiben und mutig schnibbeln lassen war mir da echt lieber. Das war überschaubar und zu schaffen.
Was also tun? Meine Freundin aus der FSH hat gesagt: Sprich drüber. Frag was der andere denkt. Höre bis zum Ende zu. Und denke dann erst nach, bevor du die tapfere gibst.
Sei ehrlich und sprich von deiner Angst, wenn du welche hast. ( Angst ist nicht immer im Vordergrund, also bloss nicht dauernd vorholen ) Und wenn keine da ist, feiere deine Gemeinschaften und tue, was dir gut tut. UND: Achte drauf, dass auch die Helfer mal abschalten!! Sonst gehen die am Rand des Wahnsinns spazieren, und du ziehst dir den Schuh an. Nach dem Motto: hätte ich nicht Krebs, könnten alle anderen jetzt ins Schwimmbad gehen.
Tausche die Schuhe, wie ein alter Indianerspruch geht. Du würdest für deine Lieben das gleiche tun, wie sie jetzt für dich. Jedoch auf deine Art. Du würdest es tun. Also kannst du es auch annehmen. Wenn dir deine Helfer dabei vermitteln, sie haben Probleme, sprich sie an. Kritik ist hilfreich, wenn sie Lösungen sucht.
Ich habe mich in dieser Zeit nicht mit allen gut unterhalten können. Manchen ist manches zu viel. Aber für mich war es wichtig, auch mal darüber zu reden, was ich mir vorstelle, wenn die Therapie nicht helfen sollte. Ich habe mir in der Klinik mal meine Beerdigung ausgemalt, einmal davon geträumt, und danach war ich irgendwie tierisch befreit. Ich habe mir sogar überlegt, was ich anders haben möchte. Ich habe mich ernsthaft mit Angst, Sterben, Trauerfeier und der Wiederverheiratung meines Mannes auseinander gesetzt. Ich habe Pläne geschmiedet. Und was glaubst du, die Angst wurde klein. Immer kleiner. Und sie hatte keine Macht mehr. Diese Übung habe ich übertragen auf alle, die in meinem Umfeld Angst hatten. Ich habe sie heraufgefordert, den schlimmsten Fall mal anzunehmen. Das war eine heftige Forderung meinerseits. Und du glaubst nicht, wie erleichtert plötzlich alle waren. Wir haben nach zögernden und stotternden Gespächsanläufen solche Fortschritte gemacht, dass wir sogar lachen konnten.
Liebe Wolke,
ich habe meine Beerdigung im Januar 2002 bis zum März 2002 so ziemlich gut geplant. Ich weiß jetzt z.B. wen ich auf keinen Fall an meinem Grab haben will. Und das hat enorme Lebensgeister geweckt. Ich hatte noch ganz schön viel zu klären, bevor ich in die ewige Ruhe gehen darf. Naja, hier bin ich immer noch, und ich bin fröhlich, trotzig und vor allem sehr deutlich geworden. Und ich habe einige Briefe geschrieben, die nicht von allen geliebt werden.
Geplant habe ich ja, sehr alt zu werden, also noch über 30 Jahre hier zu sein. Aber zu wissen, die anderen haben jetzt einen Plan, was ich mir für den letzten Tag wünsche hat bei allen Beteiligten der Angst den Garaus gemacht.
Welche Angst hättest du, wenn an deiner Stelle deine Schwester/deine Mutter o.a. wäre? Was würde dir echte Sorgen bereiten? Das sind die Fragen, die in den Köpfen der anderen aktiv sind. Hole sie auf den Tisch und bitte darum, alles einmal offen zu besprechen. Dann kehrt vermutlich so etwas wie Frieden ein. Das Gespenst ist enttarnt und nicht mehr bedrohlich.
Ich hoffe, diese Aussenansicht kann dir und auch anderen, die schwere Krankheit durchstehen müssen und ich deshalb womöglich noch als Belastung für die Famile emfinden mal wieder auf dem Gefühlskompass ausrichten.
Ich wünsche dir Kraft und Heilung und schicke dir eine Umarmung
phönix